Heutzutage ist es alles andere als selbstverständlich, dass man an etwas, das unsere Wirklichkeit übersteigt glaubt, geht doch damit so einiges einher, das wir ganz und gar nicht als angenehm empfinden: das Bewuustsein, dass eben nicht alles alleine in unserer Hand steht.
Und auch wenn genau dieses Bewusstsein uns immens entlasten kann – wir müssen nicht alles in die eigene Hand nehmen, denn wir können schlicht nicht alles selbst händeln – so trifft es und in einer Zeit und Verfassung, in der uns vermutlich wenig schlimmeres bewusstwerden könnte, als eben diese Begrenztheit unseres Selbst.
Und dennoch: gegen den Trend (laut einer Civey-Umfrage bezeichnen sich ca. 63% derzeit selbst als Atheisten) glaube ich an einen Schöpfergott, also eine Entität und mit ihr verbunden an eine Realität, die unsere alltäglich-materielle Lebenswelt übersteigt. Wie könnte ich auch anders, als Student der katholischen Theologie und Bewerber auf den Beruf des Pastoralreferenten, also auf ein geistliches Amt…
Gerade zu Beginn meines Studiums, aber auch immer wieder, wenn ich neue Menschen kennenlerne, stellt man mir aber die gleichen Fragen, u.a. diese hier: Wie kann man denn heute überhaupt noch etwas glauben? Implizit referieren die Fragesteller dabei meist auf zwei Fakten unserer Zeit: zum einen scheint es nicht mehr modern zu sein, zu glauben und zum anderen gehen viele Menschen davon aus, dass gerade durch den massiven Erfolg der Wissenschaften ein Götter-Glaube doch inzwischen überholt sei – wer braucht denn noch einen Schöpfungsmythos, wenn er den Urknall haben kann? …
Bitte nicht falsch verstehen – ich möchte keinesfalls diese antimodernen Grabenkämpfe eröffnen, die meine konservativen Glaubensbrüder gerne eröffnen: Glauben gegen die angebliche Verfolgung / das Verlacht werden. Ich habe explizit keine schlechten Erfahrungen gemacht, seit ich Theologie studiere. Sehr häufig haben sich aus diesen Fragen die interessantesten Gespräche und auch hin und wieder Freundschaften ergeben – und aus den Anfragen heraus kam auch mein theologischer Reflexionsprozess meines eigenen Glaubens erst so richtig ins Rollen. Es ist schlicht nicht gut, nur in seiner eigenen Bubble lustig vor sich hin zu glauben und gar nicht zu merken, dass die Welt vor der Haustüre eigentlich einen ganz anderen Tonfall trifft, als die süßlich-romantische Glaubensarie, die man da so manchmal ungestört „von der Lebensrealität“ vor sich hin trällern möchte.
In den folgenden Zeilen möchte ich aber sehr knapp eine sehr persönliche Antwort auf die oben genannte Frage geben – eine kurze Begründung liefern, warum ich eigentlich an etwas nicht-materiell feststellbares glaube. Danken möchte ich für diesen Einfall auch meiner Mutter, die selbst meinen theologischen Werdegang nicht persönlich nachvollziehen kann und durch ihre Fragen mich immer mehr zur Sprachfähigkeit begleitet – hier konnte ich ausprobieren und mich immer mehr im Erzählen von meinem Weg und Glauben erproben.
Vor nicht allzu langer Zeit bin ich in einem Interview mit Bernadette Lang – eine junge Frau, die ihr Leben im kirchlichen Stand der geweihten Jungfrau (stark verknappt erklärt eine in der Welt lebende Ordensfrau / Nonne ohne Orden) verbringt – über einen Ausdruck gestolpert, der mich zu folgender Aussage über meinen eigenen Glaubensweg bewogen hat:
Ich glaube, weil das Grundgeräusch meines Lebens Sehnsucht ist.
Dieser Satz – so poetisch er klingen mag, kommt aber als Ungetüm daher, das niemand wirklich einordnen kann, ohne Erklärung. Daher will ich die hier auch gleich mitliefern: Mich begleitet seit langem das Grundgefühl der Sehnsucht in meinem Leben. Gerade in meiner späteren Pubertät, wurde Sehnsucht ein immer stärker in den Vordergrund tretendes Gefühl. Sehnsucht nach mehr.
Mehr Gerechtigkeit, mehr Liebe, mehr Weisheit und Wissen über die Ursachen der verschiedensten Dinge (auch jene, deren Ursache wissenschaftlich immer lapidar mit dem so logisch wie unlogisch zugleich erscheinenden „Zufall“ betitelt wird), mehr seelische Heimat und mehr Platz an dem ich mich als Person selbst frei entfalten und zur Geltung kommen kann und darf (was ich natürlich so auch jeder:jedem anderen wünsche). Sehnsucht nach mehr Tiefe, auch und v.a. in der Verbundenheit zu der Welt und den Lebewesen um mich herum, wie auch meinen Mitmenschen logischerweise. Nach einem mehr im Sinne eines Weiters nach dem irdischen Tod.
Ich glaube auch, weil (Vor-)Ahnung ein weiteres Grundrauschen meines Lebens ist.
Genau diese Sehnsucht füttert und wird gefüttert von einer tiefen Ahnung, die ich Zeit meines Lebens nie komplett verloren habe. Selbst in meiner atheistischen Phase während meiner Oberstufe, wich diese Ahnung nur etwas in den Hintergrund, versuchte ich diese Ahnung anders zu verorten.
Eine Ahnung, dass dieses „MEHR“ auch existent ist. Eine Ahnung, die von meinem alltäglichen Erleben und Fühlen immer wieder gestützt wird und seit meinem ersten Schritt auf der Suche nach Transzendenz und Gott immer weiter gefüttert wird.
Eine Ahnung, die die Sehnsucht nach mehr aber gleichzeitig nur noch mehr anheizt, weshalb sie inzwischen in ein „nicht genug bekommen können“ droht umzuschwenken (wenn sie das nicht schon lange ist). Ich spreche beim „nicht genug bekommen“ – wie könnte das bei mir als franziskanisch gesinnter Mensch auch anders sein – natürlich keineswegs von materiellen Dingen, derer ich nicht genug haben könnte, sondern viel mehr von seelisch-immateriellen, vielleicht sogar transzendenten Dingen. Hier macht es einem das Christentum so schwierig, wie wenig andere spirituell-religiöse Strömungen es tun, zu unterscheiden – was ist denn schon ein Vorgeschmacke auf eine transzendente Realität? Das grundsätzlich panentheistische Modell des Christentums, das besagt, dass Gott sowohl in der Welt, als auch die Welt in ihm ist, macht es schier unmöglich von Transzendenz als dem der Welt ganz verschiedene auszugehen.
Doch genau das ist ja das Schöne zugleich: auf meinem Weg wurde mein Hunger nach dem oben angeschnittenen Mehr immer wieder gefüttert – ich muss also nicht hungernd auf das Eingehen in eine andere Realität, ein „Jenseits“ o.ä. warten.
Nun habe ich ganz schön lange sehr abstrakt von einer Ahnung, einer Sehnsucht und noch mehr Dingen gesprochen, die sich kaum fassen lassen. Um dem ganzen einen etwas konkreteren Beigeschmack zu liefern, möchte ich hier noch ein paar Beispiele v.a. für die Dinge, die mich eben diese Ahnung bekommen lassen, geben:
Fangen wir mit dem kitschigsten von allen an – Vorsicht, hier könnte es ziemlich cheesy werden 😉 – der Liebe: man muss nicht wirklich aus ganzem Herzen voll geliebt haben, um zu wissen – das ist in uns Menschen schlicht anthropologisch angelegt, Psychologen werden nicht müde, die auch zu bestätigen – dass Liebe ein emotionaler Cocktail ist, der uns von dieser Welt zu katapultieren droht. Jede:r, die oder der schon einmal verliebt war, weiß, dass man in dieser Zeit nicht mehr wirklich auf dieser Welt wandelt. Auch wenn das Verliebtsein schließlich nicht erwidert werden sollte, so schwebt man in dieser Zeit doch mit einem Bein immer „auf Wolke 17“. Wird das Verliebtsein dann nicht erwidert gleicht das emotional dem, als würde jemand auf eben dieser Wolke 17 das eine Bein, das meinte darauf schon festen Stand gefunden zu haben, wieder von der Wolke stoßen und man müsste wieder komplett auf den gewohnten Boden zurück fallen.
Liebe ist die Emotion, die am deutlichsten erahnen lässt, dass es da mehr geben muss, als unsere rational-materielle Weltsicht uns zugestehen will: wenn wir einen Menschen beginnen zu lieben, bzw. in ihn verliebt sind, lässt sich das selten wirklich ins letzte rational erklären. Klar – unser „Beuteschema“ lässt sich psychologisch erklären – aber nicht einmal biologisch lässt sich die Notwendigkeit von Liebe näher bestimmen. Fortpflanzung funktioniert auch ohne Liebe und soziale Absicherung ebenfalls (das haben hunderte Generationen vor uns deutlich bewiesen, bevor die „Normativität der Liebe“ – Begriff entliehen von Prof. C. Breitsameter – ihr Diktum übernommen hat). V.a. aber die Existenzgründe der Begleiterscheinungen von Liebe sind sicher nicht bis ins letzte klärbar: etwa dass die geliebte Person durch den Blick der Liebe unfassbar schön wird.
Damit komme ich auch zu dem nächsten konkreten Anlass, der mir eine Vorahnung auf ein irgendgeartetes „Mehr“ schenkt: Schönheit. Niemand – auch Atheisten nicht – würde je überzeugt und überzeugend bestreiten, dass Schönheit eine Kategorie ist, in der wir Menschen empfinden können. Dabei gibt es Schönheit innerhalb ästhetischer Maßstäbe (etwa Dinge, Bauten, Design kann hierunter fallen), als auch rational nicht zu fassende Schönheit, wie die Schönheit eines Sonnenuntergangs, leuchtender Augen, von Gesichtern oder Händen, die beide ein ganzes Leben erzählen kann. Aber auch die Schönheit von Momenten, Stimmungen, Berührungen und auch nicht visuell oder haptisch fassbaren Dingen. Die letze Kategorie der eingangs zwei eingeführten Kategorien von Schönheit führt schließlich meist zu einem Gefühl, des Atems beraubt zu werden, wenn man damit in Berührung kommt. Man muss sich allerdings für beides (Liebe und Schönheit!) auch berührbar machen. Denn sperrt man alle Schotten dicht, so bekommt man selbstverständlich weder einen Vorgeschmack, noch eine Vorahnung des Transzendenten (traditionell als „des Ewigen“ bezeichnet). Wie sollte man auch?
Eine interessante Beobachtung, die ich zum Schluss meiner Ausführungen nicht ungeschildert lassen möchte, ist dass sich beide Dinge – Kontakt zum Transzendenten und Vorahnung reziprok verstärken, wodurch sich schließlich aber auch Sehnsucht und Ahnung gegenseitig verstärken. Zumindest an meinem eigenen Leben lässt sich das immer wieder sehr klar beobachten: wenn ich wirklich mich durch geistliche Übungen, Kontemplation oder Gebet zu einer Begegnung – die sich meist „nur“ als ein sanftes Streichen eines der äußersten „Zipfel“ des Transzendenten darstellen, etwa in einer Begegnung mit tieferen Schichten meines Selbst, oder durch ein mich Öffnen für die Welt, die unsere übersteigt, in Gebet o.ä. – so werde ich augenscheinlich auch deutlich empfindsamer für Schönheit in unserer Welt.
So lassen sich hier konkret zwei Erlebnisse schildern: gegen Ende meiner Exerzitien im vergangenen Herbst machte ich damals nach einer mehrtägigen Regenphase einen Spaziergang über ein Feld neben dem Franziskanerinnenkloster, in dem ich meine Exerzitien verbrachte und kam dort an in der Sonne glänzenden Steinen vorbei. An diesen Steinen war ich bereits zuvor mehrfach vorbei gelaufen und hatte keinerlei „Schönheit“ in ihnen beobachten können. Rötlich lagen sie da im braunen Erdboden. Steine eben… An diesem Tag, vor dem einige innere Prozesse abgelaufen waren und ab dem ich mich langsam innerlich für Transzendenzerleben geöffnet hatte und mit Gott zaghaft nach Tagen endlich einmal etwas in spürbare „Verbindung“ gekommen war, aber zierte die besagten Steine eine unfassbare Schönheit, wie sie so in der Sonne glänzend in ihrem Erdbett lagen. Eine Schönheit, für dich ich mich erst öffnen musste, um sie wahrzunehmen.
Ein zweites ähnlich gelagertes Erlebnis erlebe ich immer wieder nach einer Zeit der Anbetung (Lobpreis / Worship / gestaltete oder stille eucharistische Anbetung): auf dem Weg von der Kirche heim erscheinen mir die Menschen in der Münchner Innenstadt – in Bus und Bahn – meist unfassbar schön. „Breathtaking beauty“, wie der englisch sprachige Mensch hier sagen würde, wird für mich plötzlich nachvollziehbar – dieser kurze Moment, in dem man durch die Berührung durch das Schöne meint, das Atmen zu vergessen.
Na und Erlebnisse dieser Art sind letztlich genau der Grund, warum ich nach 4,5 Jahren intensivem Suchen nach Gott und Transzendenz, verbunden mit 3,5 Jahren Theologie-Studium, noch immer nicht die Lust verloren habe an eben dieser Suche, sondern genau das Gegenteil: immer wieder überzeugt nur noch mehr davon haben will… Ein Kreislauf, der sich immer wieder gegenseitig anstößt! 🙂
Ich weiß nicht, ob die obigen Worte annähernd transportieren konnten, warum ich etwas und nicht viel mehr nichts glaube. An einigen Stellen mag die Poesie oder das theologische „Verklausulieren“ sicherlich mit mir etwas durchgegangen sein. Nur sind dies eben Dinge, die nur noch schwer wirklich treffend in rational-begriffliche Kategorien ohne poetischen Überschwang zu fassen sind. Eben weil mir Glaube ein Leben in Fülle näher bringt 😊
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