Die Überschrift klingt auf den ersten Blick etwas ketzerisch. Ist das nicht eine protestantische These? Das allgemeine Priestertum… Nein! Das allgemeine Priestertum kennen auch die katholische Theologie und Kirche, auch wenn sie hier immer wieder sehr stark in Vergessenheit gerät. Kirche – je volkskirchlicher die Struktur, desto mehr, wirkt häufig eher wie ein Showroom, denn wie eine Gemeinschaft, die sich um den menschgewordenen Gott und Erlöser Christus versammelt.

Dabei muss das nicht (und sollte vielleicht auch nicht) so sein: Ein Gesprächsabend zum Thema Weltkirche hat mir da noch einmal ganz klar gemacht, was die Probleme der deutschen Kirche sind. Und nein, das größte Problem ist sicher nicht allein der Missbrauchsskandal (wenn ich den natürlich auch auf keine Weise klein reden will!). Vielmehr berichtete uns an besagtem Abend eine Katholikin aus Ecuador, dass sie hier in Deutschland die Anonymität in den Kirchen erschrickt. Dass sie das so gar nicht kennt zu Hause. Eine Anonymität, die u.a. auch aus der Bespaßungsmentalität vieler deutscher Katholiken resultiert: Der Herr Pfarrer (und irgendwie als moderne Erscheinung auch sonstiges pastorales Personal) soll mal würdig Gebete sprechen, damit auch die Gemeinde brav „Amen!“ sagen kann…

Die katholische Theologie kennt das aber auch anders! Ganz besonders das II. Vatikanische Konzil in seiner Liturgie-Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC) fundiert ein Prinzip katholischer Liturgie und Haltung: die „participatio actuosa“, die aktive Teilhabe der Gläubigen. Und diese Teilhabe geht weit über ein sonntägliches Liturgie-Geschehen hinaus: diese participatio soll im Gebet geschehen – die Professionalisierung des Gebets ist nicht das, was Jesus im Sinn hatte, als er seine Jünger:innen berief! Und sowohl das biblische Zeugnis mit „Betet ohne Unterlass!“ (1Thess 5,17), als auch die franziskanische Spiritualität mit dem Motto „Unser Leben sei Gebet!“ gibt dieser Stoßrichtung noch einmal besonderen Nachdruck.

Was aber bedeutet diese Haltung konkret?

#1 – Königliche Würde verkörpern

Taufe und Firmung erinnern uns ebenfalls an diese Tatsache – hier werden alle Katholik:innen und orthodoxe Christ:innen mit Chrisam zu Königen, Priestern und Propheten gesalbt. Doch welche Art von Königen meint Christus hier? 

In West-Europa neigen wir viel zu sehr dazu, bei Königen an absolutistische Monarchen zu denken, die ihre Untertanen unterdrückt haben, rein zu ihrem eigenen Vergnügen und Wohlergehen. Aber das ist keinesfalls der biblische Begriff eines Königs.

So finden sich im AT – der heiligen Schrift, mit der Jesus aufwuchs – folgende Eckpunkte, wie ein guter König sein sollte: demütig (Dtn 17,20), ein Hirte, also kein Machtmensch, sondern ein Diener zum Wohl seiner Herde / seines Volkes (Hes 34,23), gerecht (Ps 72,1-2), er soll die Armen retten und die Elenden befreien (Ps 72,12-14) und alles in allem als Werkzeug Gottes dienen (Dtn 17,15.19).

König David als prototypischer König – ein Mensch, der zwischen Demut, königlicher Würde und zugleich auch seiner Fehlbarkeit sich aufspannte – selbst erweiterte diese job description dadurch, dass er sich nicht nur als König begriff, sondern dabei auch in die Beziehung mit Gott, dem der ihn zum König erwählt hatte, trat: er leitete seine königliche Würde davon ab, dass er sich von Gott gesalbt und als derjenige, der er war, gewollt wusste.

Genau diese Zusage bekommt auch jede:r Christ:in in Taufe und Firmung: die unauslöschliche Zusage Gottes, gewollt zu sein. Dabei will Gott Christ:innen nicht als Untertanen, sondern als Könige – nicht als jene, die sich im Dreck wälzen, wenn sie einem höheren begegnen, sondern als Menschen, die sich ihrer Würde bewusst sind und dieser Würde entsprechend mit erhobenem Haupt und demütiger Sorgfalt für ihre Umwelt und den ihnen anvertrauten (Familie, Freunde, Mitmenschen) zugleich durch die Welt gehen.

Zugleich aber soll auch die vertikale Linie Christ:innen wichtig bleiben:

#2 – den priesterlichen Auftrag wahrnehmen

Daher wurden die Jünger:innen Christi – sprich jede:r Getaufte – auch zu Priestern berufen. Um ein Leben in Beziehung mit Gott, dem König aller Könige, zu leben. Durch diese Beauftragung und Berufung ergeht ein Auftrag an alle Christ:innen, den wir nicht einfach nur an die Träger des „außerordentlichen“ Priestertums (die geweihten Amtsträger der Kirche) auslagern können und sollen. 

Dass nur Priester der Kirche Eucharistie würdig spenden können, bedeutet nicht, dass alle anderen Katholik:innen davon ausgeschlossen sind, in Gebet und eine lebendige Christus-/Gottes-Beziehung zu treten und gleichzeitig als priesterlich Gesalbte für die Umwelt auch eine vermittelnde Rolle zwischen Welt und Gott einzunehmen. Wir lassen uns dabei von Gott berühren und treten in einen Austausch: was uns wichtig ist, geben wir dabei an Gott und was Gott wichtig ist, erhalten wir von ihm. Es findet ein Herzensaustausch statt, der es auf die Dauer – berührt von der göttlichen Liebe – unmöglich macht, sofern wir uns wirklich auch berühren lassen, nur noch die eigenen Wünsche und Ziele, die wir in unserem Kopf uns so einbilden, zu verfolgen. Allmählich werden unseren eigenen Vorhaben die Ziele und Vorhaben der personifizierten Liebe – Gottes – anheimgestellt. 

Dabei ergehen mehrere Aufträge an Christ:innen:

  1. Ein Leben des Gebets und der Anbetung führen. D.h. ein Leben, das auf ein Beziehungsgeschehen mit Gott und der Welt, die unsere Realität transzendiert (übersteigt) ausgerichtet ist, zu führen. Und sich aufzumachen, Gott in seiner Schöpfung zu finden. Nicht nur den Fingerzeigen der „außerordentlichen Priester“ folgen, sondern selbst zu Entdeckern der göttlichen Funken und Gnade werden. Was dabei die Herzenshaltung des Gebets und der Anbetung genau ist, erfährst du in diesem Extra-Artikel hier! [LINK FOLGT!!] Außerdem findet dabei ein Austausch auf Herzebene statt – Liebe kommt ins Fließen. Göttliche, bedingungslose Liebe, die die Wunden und dunklen Flecken in unserem eigenen Herzen heilt und erhellt. Eine Liebe, die tiefer geht, als es ein „ich mag dich“ kann. Eine Liebe, die Selbstzweifel, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wegräumen kann und den Horizont erweitern kann. Ich selbst habe das in der Zeit, in der ich mich nach einer atheistischen Phase wieder begonnen habe, mit Christentum und Gott zu beschäftigen, deutlich gespürt. Ich habe das damals immer wieder beschrieben, als hätte jemand den Deckel der Schuhschachtel, die ich meine Welt nannte, entfernt und als wäre der Himmel dadurch plötzlich offen und weit geworden…
    Gleichzeitig macht diese Herzenshaltung aber auch demütig: Liebe öffnet den Horizont auch für andere. Wir nehmen plötzlich wahr: neben uns ist der Planet noch von ganz vielen anderen Geschöpfen, die Gott genauso wie uns liebt, bewohnt. Und wenn unser Schöpfer diese Geschöpfe genauso liebt, wie uns, dürfen und können wir das auch – sie sind uns ja auch in allem von ihrer Würde her gleich.
  2. Das Evangelium weitergeben – erzählen von dem, was das Herz berührt. Der in Punkt eins der Aufträge genannte Weg ist ein Weg, der ganz viel an der Haltung meines Herzens arbeiten lässt. Die Grundhaltung meines Herzens werde dabei Liebe – Liebe zu mir selbst (königliche Würde wahrnehmen) und zu meiner Umwelt (weil Gott sie liebt – priesterlicher Auftrag). Diese Haltung, dieses Beziehungsgeschehen berührt mein Herz zutiefst. Diese Berührung entfacht ein Feuer in unserem Herzen – zahlreiche Christ:innen müssen von nun an einfach erzählen davon, was dieser Herzensaustausch in ihnen verändert hat. So ging und geht es auch mir – daher auch dieser Blog 😉 Zugleich ist dieses Erzählen auch ein Auftrag, der mit der Salbung zu Priestern einher geht, wie uns Mt 28 erzählt. Dabei ist es wichtig – in königlicher Würde und priesterlicher Demut in die Welt zu gehen. Natürlich können und dürfen wir überzeugt davon sein, dass wir etwas richtig gutes und cooles haben, von dem wir erzählen wollen, aber das darf nie andere Menschen verletzen, kleinmachen oder angreifen. Das wäre eine Perversion dessen, was wir selbst erlebt haben. Liebe macht nicht klein, wenn sie diesen Namen verdient hat.

Wichtig sind dabei ganz besonders eine Voraussetzungen: die Offenheit für Berührung. Wir müssen uns, um die oben beschriebene Haltung einnehmen und die an uns ergangenen Aufträge wahrnehmen zu können, uns öffnen, uns immer wieder von Gott und seiner Liebe berühren zu lassen.

Und dann können wir auch gerade zu einem Sprachrohr werden, wenn und weil unsere Welt eine gefallene Welt werden:

#3 – Propheten werden

Denn auch das resultiert aus der oben angesprochenen Herzenshaltung. Die intrinsische Motivation und Neigung, bei Unrecht dies auch laut anzusprechen. Genau das haben die Propheten des Volkes Israel immer getan. Sie haben aufgeschrien, wenn soziale Missstände, Benachteiligung sich im Volk Israel Fuß fassen konnten. 

Auch diese Haltung resultiert dabei aus dem berührt-sein durch die göttliche Liebe. Wenn ich mich geliebt fühle und mein Herz vor Liebe überfließt, kann ich nicht schweigend mitansehen, wenn Mitgeschöpfe benachteiligt oder verletzt werden.

Ich halte in franziskanischer Tradition hier den Begriff bewusst offen: die heutige Zeit erfordert es dringend, nicht nur den Blick auf Ungerechtigkeit gegen Mitmenschen zu engen, sondern erfordert eine Weitung unseres Hinsehens auch auf Natur und Umwelt – Flora und Fauna. 

Prophet sein heißt „Stopp!“ zu rufen, wenn sich die Welt in eine „falsche Richtung“ zu entwickeln droht. Hier ist das horizontale Beziehungsgeschehen zu meiner Mitwelt im Fokus.

Ausblick und Fazit

Die oben beschriebene Haltung und Beauftragung / Berufung durch Christus hat der heilige Augustinus wie folgt zusammengefasst:

„Empfangt, was ihr seid: Leib Christi. Und werdet, was ihr empfangt: Leib Christi.“

Und genau darum geht es – anders ausgedrückt auch in dem oben mehrfach erwähnten Herzensaustausch: Liebe empfangen und zu Trägern und Aussendern der Liebe zu werden. Der Wortgebrauch mag zwar etwas arg antik anmuten, bekommt aber größere Tiefe, als moderne Begriffe das ausdrücken können und mögen. Eine Tiefe, die man bei genauerer Betrachtung und Meditation erst zu erspähen vermag.

Was aber hat das mit Pfingsten (dem Datum der Veröffentlichung dieses Artikels) zu tun? Pfingsten ist das Fest, an dem die Kirche ihre eigene Würde empfängt und zugleich ihre Berufung annimmt – als königliches, priesterliches und prophetisches Volk. Es ist der Augenblick, in dem die Gaben, die durch Taufe und Firmung grundgelegt sind, in Freiheit und Kraft wirksam werden. Die Ausgießung des Heiligen Geistes vollendet, was Christus grundgelegt hat.

Was denkst du dazu? Hinterlass mir gerne einen Kommentar hier oder auf Instagram! Lebst und kennst du die oben beschriebene Herzenshaltung und deine dreifache Würde als König:in, Priester:in und Prophet:in? Ich freu‘ mich von dir zu hören!

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