Im Zuge meiner Ausbildung zum Pastoralreferenten absolviere ich gerade während der Semesterferien an der Uni ein Diakoniepraktikum in der Obdachlosenhilfe des Haneberghauses der Benediktinerabtei St. Bonifaz am Königsplatz hier in München. Und das passenderweise während der Passions- und Fastenzeit. Dieses Jahr war Fasten für mich anders als sonst: ich habe weniger etwas weggelassen, als eine nicht kleine Aufgabe hinzugewonnen.
Meinen Einsatzort habe ich mir selbst ausgesucht: ich wollte unbedingt in die Arbeit mit Obdachlosen, an die Ränder der Gesellschaft. Schon einige wenige Male hatte ich zuvor die Möglichkeit, kurz in die Welt der Obdachlosen hinein zu schnuppern – einer Welt, die wirklich einfach ganz anders ist als unsere. Angefangen bei einer für uns, die Obdachlosigkeit vermutlich nie erlebt haben, völlig unbegreiflichen Armut, die weit darüber hinaus geht, dass Obdachlose kein Dach über dem Kopf haben. Eine Welt, die mir die existenziellen Grundbedürfnisse des Menschseins ganz neu aufgezeigt hat. Denn die existenzielle Not von Menschen, die auf der Straße leben ist ganz anders, zumindest als ich mir das vorstellen konnte. Natürlich war mir klar, dass Menschen ohne Obdach und in der Armut der Straße auf Suppenküchen angewiesen waren, um nicht hungern zu müssen. Mir war natürlich auch klar, dass Klamotten, Schlafsäcke und Isomatten Dinge waren, die für ein Leben auf der Straße essentiell sein können, gerade in den kälteren Jahreszeiten.
Aber wie mir Norbert Trischler, Obdachlosenseelsorger unseres Bistums, eindrücklich vermittelt hat: der Hunger nach dem Stillen der körperlichen Grundbedürfnisse ist nicht größer als der Hunger nach Liebe, Aufmerksamkeit, emotionaler Nähe und Zuwendung.
Das Leben auf der Straße ist sicher stets öffentlich – Obdachlose haben keine Privatsphäre, sind nur wenige Stunden (wenn überhaupt) am Tag alleine, aber dennoch ist die Einsamkeit auf der Straße nahezu grenzenlos.
Warum aber erzähle ich das unter dem obenstehenden Titel? Ein Vorsatz, der mich während des Praktikums begleitet hat, war, dass ich in den Klienten der Obdachlosenhilfe Christus sehen wollte. Und es gibt wenig Milieus, in denen zumindest mir das offensichtlicher wurde, als im Milieu der Obdachlosen: hier begegnete mir in den Wochen des Praktikums sowohl der gebrochene und gegeißelte Christus – in den Augen derer, die auf der Straße um ihr Überleben und ihre Würde kämpften oder den Kampf bereits aufgegeben hatten. In den Augen derer, die in verdreckten, zerrissenen Klamotten hungrig und auch nicht selten auf der Suche nach einem offenen Ohr, nach jemandem, der sich für sie, ihr Befinden, ihr Lebensschicksal interessierte und ihnen kein Gefühl des Befremdet seins vermittelte, sodass sie sich schämen mussten, mir in der Kleiderkammer, in der Sozialberatung oder in der Essensausgabe in St. Bonifaz begegnet sind.
Aber auch der Auferstandene und Auferstehung wehten manch einmal durch die Flure des Haneberghauses: etwa wenn die Obdachlosen, die sich noch in z.T. erbärmlichem Zustand vor dem Duschen bei mir Klamotten an der Kleiderkammer abgeholt hatten, nach dem Duschen kaum mehr als Obdachlose erkennbar an mir vorbei gingen. Im Glänzen der frisch gewaschenen Haare, in dem kleinen Stückchen Würde, die diese Dusche wiederherstellen konnte, war nicht selten eine Schönheit, letztlich eben ein kleiner Hauch von Auferstehung spürbar.
So wurde meine Suche nach dem Christus, nach dem Auferstandenen in der Fastenzeit dieses Jahres nach einem Erlebnis, das mich nachdrücklich berührte: ein Erlebnis, das mir deutlich demonstriert hatte, was den Menschen zum Menschen macht, das mir verdeutlicht hat, was Würde bedeutet und wie dramatisch ein Leben in entwürdigenden Zuständen ist.
Und auch auf mich und mein eigenes Verhalten haben die Erfahrungen dieses Praktikums mich immer wieder zurückverwiesen: Wie gehe ich mit obdachlosen Menschen um? Gehe ich, wenn ich sie am Straßenrand sehe, an ihnen vorbei, ohne ihnen Beachtung, einen freundlichen Blick oder gar einen Gruß zuzuwerfen?
Auch wenn ich mich im Zuge meines „franziskanischen Weges“ und meiner theologischen Beschäftigung mit franziskanischer Theologie immer wieder mit dem Großthema „Armut“ beschäftige, hat mir erst diese direkte Konfrontation mit gelebter Armut, die nicht frei gewählt ist (wie bei franziskanischen Ordensleuten), so deutlich wie noch nie zuvor gezeigt, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern auch von Liebe (vgl. Mt 4,4).
— Dieser Artikel erschien zuvor im Osterrundbrief des OFS München-St. Anna


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